Für einen modernen Liberalismus

Wir Freie Demokraten erheben den Anspruch, die zentrale politische Kraft des Liberalismus in Deutschland zu sein. Die aktuelle Krise unserer Partei erfordert einen entschlossenen Neuanfang, in dem wir uns grundlegend modernisieren werden.

Folgende Grundsätze sehen wir dabei als leitend an:

  1. Wir müssen den Mut aufbringen, unsere Partei radikal neu zu denken. Ausgangspunkt der Neuausrichtung muss die Frage sein: Was für eine Partei braucht es heute, um Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu stärken und möglichst große Lebenschancen für möglichst viele Menschen zu fördern? Wir brauchen einen modernen Liberalismus, nicht ein Abbild früherer Zeiten.
  2. Wir vertreten einen ganzheitlichen Liberalismus. Die Ausprägungen liberaler Politik sind sowohl hinsichtlich der Themensetzung als auch der Ausrichtung vielfältig. Wir Freie Demokraten machen ein politisches Komplettangebot und werden uns thematisch nicht verengen. Unterschiedlichen Ausdeutungen von Liberalismus und Liberalität geben wir Raum. Dabei finden verschiedene Ansichten dadurch zusammen, dass sie immer auf die Förderung individueller Freiheit als ihren gemeinsamen Fluchtpunkt bezogen werden. Dieser bildet die Einheit des Liberalismus.
  3. Mit dem Liberalismus ist die liberale Geisteshaltung untrennbar verbunden. Wir stellen den Anspruch an uns selbst, andere Lebenseinstellungen als gleichberechtigt zu respektieren und anderen politischen Ansichten stets respektvoll zu begegnen. Wer bereits innerhalb der eigenen Reihen keinerlei Meinungsvielfalt erträgt, kann nicht glaubhaft für das liberale Kernanliegen des Pluralismus eintreten.
  4. Als liberale Partei muss unser Anspruch sein, zu gestalten und Verantwortung zu übernehmen. Auch in schwierigen Zeiten müssen wir bereit und in der Lage sein, Verantwortung zu übernehmen und Kompromisse zu erringen. Eine liberale Partei fördert eine Streitkultur und eine Arbeitsatmosphäre, in welcher der erarbeitete Kompromiss unter Demokraten in der Ergebnisbewertung etwas Gutes ist.
  5. Eine liberale Partei darf sich nicht durch Zugehörigkeit zu oder Abgrenzung von einem politischen Lager bestimmen, sondern allein programmatisch aus dem Bemühen, die größtmögliche Freiheit aller Bürgerinnen und Bürger zu erreichen und mehr Menschen mehr Lebenschancen zu eröffnen.
  6. Eine liberale Partei erteilt keine grundsätzlichen Absagen zur Zusammenarbeit mit anderen demokratischen Parteien. Demokratische Mitbewerber sind immer auch potentielle Partner. Mit Kräften, die die freiheitlich-demokratische Grundordnung und die Liberalität unseres Landes bekämpfen oder Ressentiments gegen Minderheiten schüren, ist hingegen jede Zusammenarbeit ausgeschlossen.
  7. Eine liberale Partei folgt nicht einer Mehrheitsmeinung oder dem, was in den traditionellen oder sozialen Medien gerade populär erscheint. Sie folgt den eigenen liberalen Überzeugungen und kämpft dafür, diese mehrheitsfähig zu machen. Der Aufbau und die Pflege einer kohärenten Stammwählerschaft aus echten liberalen Überzeugungstätern bringt uns diesem Ziel langfristig näher als die naive Hoffnung auf Leih- Wechsel- oder Mitleidsstimmen.
  8. Wir müssen den Anspruch erheben, den öffentlichen Diskurs aktiv mitzugestalten. Zusammen mit unseren Vorfeldorganisationen werden wir Trends und Stimmungen nicht einfach hinnehmen, sondern im Sinne von Liberalität und freiheitlicher Politik beeinflussen.

 

Begründung:

Dringend wie selten zuvor braucht unser Land eine starke liberale Kraft, die für Freiheit, Pluralismus, Fortschritt und Marktwirtschaft eintritt und ihnen Popularität verleiht.

Die Bedrohung der Freiheit und der liberalen Demokratie von Innen (AfD, BSW, Teile der Linken) sowie von Außen (CRINK: China, Russland, Iran, Nordkorea), das Auseinanderdriften der demokratischen Kräfte in unversöhnliche Lager, die Akzeptanzkrise der liberalen Demokratie sowie die Stagnation der wirtschaftlichen Entwicklung fordern eine Besinnung auf Freiheit. Doch unserer Partei gelingt es nicht, die liberalen Kräfte unseres Landes zu bündeln und die Position der Freiheit wirksam zu vertreten.

Statt als starke und geschlossene Anwältin der Freiheit tritt unsere Freie Demokratische Partei innerlich zerstritten, intellektuell ermattet und unfähig zur Übernahme von Verantwortung auf. Die Vielfältigkeit und intellektuelle Reichhaltigkeit der Geistesgeschichte an der Freiheit orientierten Denkens könnte Ausgangspunkt und Inspiration für einen modernen Liberalismus sein. Stattdessen sehen wir Grabenkämpfe und Abwehrhaltung um einen vermeintlich “klassischen” Liberalismus.

Unter allen politischen Ideologien kann der Liberalismus als die weltweit erfolgreichste gelten. Er errang diese Erfolge durch seine Lebendigkeit und Lernfähigkeit: weil es Menschen gelang, zentrale Fragen ihrer jeweiligen Zeit immerwieder neu aus der Perspektive der Freiheit zu beantworten. Ein Liberalismus, der diese Stärke vergisst und erstarrt, verliert seine Anziehungskraft, Legitimität und Relevanz.

Die gescheiterten Regierungsbeteiligungen 2009-13 und 2021-24 sowie das Scheitern der Verhandlungen 2017 geben Anlass zur Selbstkritik. Seit vielen Jahren gelingt es nur noch in wenigen Ausnahmefällen, Politik in einer Regierung erfolgreich mitzugestalten. Das ehrlich und selbstkritisch aufzuarbeiten, wird zu unseren wichtigsten Aufgaben gehören.

Die Niederlage bei der Bundestagswahl 2025 kam nicht überraschend. Seit Jahren deutet sich die Entwicklung an, vergangene Landtagswahlen mit historisch schlechten Ergebnissen lieferten längst einen Vorgeschmack. Statt Selbstkritik herrschte jedoch die Externalisierung von Verantwortlichkeit vor. Dabei lag die Ursache erkennbar nicht allein in einer schwierigen Regierungskonstellation, sondern hauptsächlich in der eigenen Regierungsarbeit und Kommunikation. Gerade eine liberale Partei, die Wert auf Eigenverantwortung legt, muss dem Rechnung tragen.

Es ist heute fraglich, ob die FDP eine Zukunft als relevante Kraft in einer sich dynamisch entwickelnden Parteienlandschaft hat. Allerdings zeigen liberale Parteien in anderen Ländern, dass sich mit liberaler Politik durchaus nachhaltige Erfolge erzielen lassen. Dafür braucht es jedoch mehr als ein paar Änderungen in Arbeitsweise und Strukturen. Es braucht ein neues Selbstverständnis über die Rolle und den Auftrag einer liberalen Partei in einer grundlegend veränderten Parteienlandschaft.