70 Tage Schwarz-Rot – Das Drama nimmt seinen Lauf

Arvid Stelzner

Normalerweise zieht man nach 100 Tagen Regierung eine erste Bilanz. Doch was Schwarz-Rot in nur 70 Tagen abliefert, ist bereits jetzt eine Tragödie in mehreren Akten. Statt Politik für das Land zu machen, inszeniert sich die Koalition aus CDU/CSU und SPD als Bühne für parteitaktisches Theater – mit sich selbst in der Hauptrolle.

Akt I: Die Regierung gegen sich selbst

Kanzlerwahl, Haushalt, Außenpolitik, Stromsteuer – wo man auch hinsieht: Stillstand, Reibung, Rückzug. Statt Entscheidungen gibt es Endlosschleifen. Der jüngste Akt: die gescheiterte Wahl der renommierten Juristin Frauke Brosius-Gersdorf an das Bundesverfassungsgericht. Ein Vorgang, der sinnbildlich steht für eine Koalition, die vor allem eines kann – sich selbst blockieren.

Die Union, einst staatstragend, verliert den Faden schneller, als man „Richtungswechsel“ sagen kann. Was einst „Scholzen“ genannt wurde – das Vergessen eigener Überzeugungen – hat nun einen konservativen Ableger: „Merzen“. Eine politische Amnesie, die gefährlich ist für das Land und tödlich für den Anspruch, verantwortlich zu regieren

Akt II: Die missglückte Richterwahl – ein Sinnbild politischer Verwahrlosung

Die Causa Brosius-Gersdorf zeigt, wie sehr Schwarz-Rot an sich selbst scheitert. Die CDU zieht im letzten Moment die Zustimmung zurück, zündelt öffentlich an ihrer eigenen Glaubwürdigkeit – und verkauft das Ganze als Prinzipientreue. Doch hinter der Maske der moralischen Entrüstung verbirgt sich nichts als billige Parteitaktik.

Die SPD hatte sich mit der Union auf einen Vorschlag geeinigt – fraktionsübergreifend, wie es der Geist des Grundgesetzes vorsieht. Das Ergebnis: ein Scherbenhaufen. Vertrauen? Verbrannt. Kooperation? Illusion. Die Union kämpft nicht für Recht und Ordnung, sondern gegen sich selbst

Akt III: Wenn die Bühne zur Kampfzone wird – Diffamierung statt Debatte

Ob man die Positionen von Frau Brosius-Gersdorf teilt oder nicht – demokratische Streitkultur bedeutet Auseinandersetzung auf Augenhöhe. Doch was in den letzten Tagen geschah, war kein Streit der Argumente, sondern ein Tiefpunkt des Umgangs. Plagiatsvorwürfe wurden aus dem Hut gezaubert, die Kandidatin als „linksradikal“ diffamiert – alles, um sich die Verweigerung zu rechtfertigen.

Und auch, wenn man durchaus Kritik an einigen Haltungen von Frauke Brosius-Gersdorf finden kann, da wäre zum Beispiel die Impfpflicht während der Corona-Pandemie zu nennen, ist es dennoch unbestreitbar, dass sie eine der renommiertesten Verfassungsrechtlerinnen ist, die wir in Deutschland haben. 

Die politische Bühne ist zur Kampfzone verkommen. Die Union verwechselt Verantwortung mit Rechthaberei. Und die SPD? Spielt mit – aus Angst, nicht ernst genommen zu werden

Epilog - Es braucht wieder einen Kompass der Vernunft

In einer Zeit, in der Grundrechte unter Druck stehen, Gerichte Vertrauen brauchen und Demokratie Debatte verlangt, ist ein solches Schauspiel brandgefährlich. Es zeigt: Es fehlt eine politische Kraft, die Haltung mit Verantwortung verbindet. Die sich nicht in Symbolpolitik verliert, sondern Prinzipien durchsetzt.

Man merkt leider deutlich, dass es eine liberale Kraft im Parlament braucht, die momentan nicht vorhanden ist. Niemand, der für Vernunft plädiert und nach Einigung strebt. Das letzte Wahlergebnis war nicht nur ein Tiefpunkt für die FDP, sondern auch ein Tiefpunkt für den Parlamentarismus in Deutschland.

 

- von Arvid Stelzner