Morlok: „Milieuschutz massiver Eingriff in Eigentum“
Angesichts der zur Beschlussfassung im Leipziger Stadtrat stehenden Sozialen Erhaltungssatzungen kritisiert die Fraktion Freibeuter zum einen die fehlende Einbindung des Stadtrates und zum anderen die Kriterien, die bei der Genehmigung bzw. Versagung von baulichen Maßnahmen über einen durchschnittlichen Standard hinaus durch die Stadtverwaltung zukünftig in Gebieten mit Sozialen Erhaltungssatzungen zur Anwendung kommen sollen.
„Die Genehmigungskriterien stellen massive Eingriffe in das Eigentum der Leipzigerinnen und Leipziger dar. Darüber autokratisch als Oberbürgermeister alleine entscheiden zu wollen, grenzt an Hybris und Größenwahn. Was in unserer Stadt verboten ist, entscheidet der Stadtrat und nicht der Oberbürgermeister“, so Stadtrat Sven Morlok, Vorsitzender der Fraktion Freibeuter im Leipziger Stadtrat. Morlok verwies in diesem Zusammenhang auf die Bebauungsplansatzungen. „Hier legt selbstverständlich der Stadtrat die Regeln fest und nicht der Oberbürgermeister.“
Selbst wenn die Erhaltungssatzungen im Einzelfall vielleicht die Mieterhöhungen verschieben können, wiegen die Nachteile einer Zementierung bestehender Strukturen aus Sicht von Morlok deutlich schwerer. „Wer stehenbleibt wird abgehängt“, beschreibt der Freidemokrat Morlok die aus seiner Sicht fragwürdigen Ergebnisse sozialer Erhaltungssatzungen. Gebiete mit Erhaltungssatzungen profitieren nicht von einer positiven Entwicklung. Im Gegenteil nach einigen Jahren müssen die abgehängten Gebiete mit viel Fördergeld wieder an das Niveau der Stadt herangeführt werden.“ Morlok verwies in diesem Zusammenhang auf die schon heute auf das hohe Niveau von Straftaten in den betroffenen Gebieten. „Wir sollten Leipzigs Kriminalitätshochburgen nicht durch Erhaltungssatzungen zementieren, sondern durch eine bessere Durchmischung der Bevölkerung entschärfen.“
Morlok weiter: „Wir sind uns auf Grund der Mehrheitsverhältnisse im Stadtrat darüber im Klaren, dass die Erhaltungssatzungen wohl nicht zu verhindern sein werden, wollen mit unseren Änderungsanträgen jedoch das Schlimmste verhindern.“
Im Zuge der Befassung mit den Zielen der Erhaltungssatzungen und den verwaltungsleitenden Kriterien verweist Morlok auf diverse Absurditäten, die ihren Zweck ad absurdum führen:
Auffällig ist, dass die sozialen Erhaltungssatzungen dort eingeführt werden, wo die meisten, Straftaten im Stadtgebiet gezählt werden. In Eutritzsch sowie im Umfeld der Eisenbahnstraße und des Lene-Voigt-Parks werden mit 144 und mehr Straftaten je 1000 Einwohner im Jahr 2018 die meisten Straftaten begangen, gefolgt von 102 bis 144 Straftaten je 1000 Einwohner in Lindenau und Alt-Lindenau. Auf das gesamte Stadtgebiet bezogen werden von insgesamt 72.045 Straftaten in 2018 12.953 Straftaten (17,98%) in Stadträumen mit zukünftiger Erhaltungssatzung verübt. Damit werden kriminelle Milieus manifestiert, gesellschaftliche Durchmischungen eher verhindert, positive Entwicklungen gebremst.
Ausgerechnet in von hoher Kriminalität geprägten Bereichen des Stadtgebietes soll es zukünftig nicht mehr möglich sein, zur Sicherheit der Bewohner Videowechselsprechanlagen in den Häusern zu installieren. Wer an Haus- und Wohnungstür klingelt wird erst sichtbar, wenn die Tür bereits geöffnet wurde.
Nicht die Angst vor steigenden Mietpreisen lässt die Leipziger wegziehen, sondern der Wunsch nach Eigentum. Der Wunsch nach Erwerb von Eigentum in Gebieten mit Sozialer Erhaltungssatzung wird darüber hinaus zusätzlich dadurch verhindert, dass es im selbst genutzten Eigentum nicht möglich sein wird, über einen durchschnittlichen Standard hinausgehende bauliche Veränderungen vorzunehmen. Veränderungen, die keine Auswirkungen auf einen Mietpreis der umliegenden Wohnungen haben, solange der Eigentümer seine Wohnung selbst bewohnt. Hierin ist ein schwerwiegender Eingriff in das Eigentum der Eigentümer zu sehen.
Die Stadtverwaltung wird zukünftig den Durchbruch von Wänden zur Schaffung von Wohnküchen verhindern. Szenarien, in denen Familien am Ende des Tages zum Kochen des Abendessens und zur Erledigung von Schulaufgaben in der Küche gemeinsam Zeit verbringen, werden von der Verwaltung ignoriert. Selten sind abgeschlossene Küchen groß genug, um Beisammen zu sein. Offene Wohnküchen gehören inzwischen zum Standard und befördern familiäre Kommunikation. Eine grundrisserhaltende Schaffung von offenen Küchen sollte daher weiter möglich sein.
Angesichts eines knappen Angebots an 4- und 5-Raum-Wohnungen wohnen auch vierköpfige Familien in 3-Raum-Wohnungen. Wenn die Eltern morgens zur Arbeit und die Kinder zur Schule müssen, ist ein zweites WC kein Luxus. Der Wunsch nach einem zweiten WC ist daher durchaus nachvollziehbar, von der Verwaltung jedoch nicht gewünscht.
Bei beabsichtigter Modernisierung eines Wohnhauses während der Geltung einer Erhaltungssatzung und vor dem Hintergrund der regelmäßigen Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Erhaltungssatzung wäre denkbar, bereits vorbereitende Maßnahmen (z.B. die Montage eines Anschlusses für eine Zweitbadewanne hinter dem Fliesenspiegel oder den Einzug eines Stahlträgers im Mauerwerk für den Zweitbalkon) erhaltungsrechtlich zu genehmigen. Die vorbereitenden Maßnahmen könnten ggf. mit Blick auf die zweijährige Evaluierung der Kriterien oder einer möglichen Aufhebung der Erhaltungssatzung getroffen werden, denn umfangreiche bauliche Sanierungsmaßnahmen sind mit hohen Kosten verbunden und werden in der Regel in großen Zeitabständen vorgenommen.
Im Zuge der Digitalisierung, der die Stadt Leipzig selbst einen hohen Stellenwert einräumt, muss es möglich sein, auch in Gebieten mit Sozialen Erhaltungssatzungen Hausanschlüsse und Verkabelungen für die Internetversorgung einschließlich Glasfaserleitungen (FFTH) bis zur Gigabitversorgung einzurichten. Die jüngste Notwendigkeit des Arbeitens von zuhause aus, verdeutlicht den Bedarf an schnellem Internet für Jedermann in ganz Leipzig.
Im Einzelfall muss auch möglich sein, über die Wärmedämmung hinausgehende Maßnahmen zur Energieeinsparung, die über die Anpassung an die baulichen oder anlagentechnischen Mindestanforderungen der EnEV an bestehende Gebäude und Anlagen in der bei Antragstellung geltenden Fassung hinausgehen, zu gestatten. Denn Energieeinsparung ist mehr als nur Wärmedämmung. Eine Heizkostenersparnis hängt von vielen anderen Faktoren ab (u.a. Preisentwicklung), die schwer zu bewerten sind.
Entsprechend der Zusammensetzung der Fraktion Freibeuter werden die beantragten Änderungen zu den Erhaltungssatzungen von FDP und Piraten im Leipziger Stadtrat teilweise gemeinsam getragen, teilweise nur von den FDP-Stadträten gemeinsam. Die Änderungsanträge im Anhang sind beispielhaft für den Inhalt der Änderungsanträge zu allen sechs Erhaltungssatzungen, die dem Leipziger Stadtrat am Mittwoch, den 10. Juni 2020, zur Beschlussfassung vorgelegt werden.